51 Jahre, das ist eigentlich kein Grund zum Feiern. Aufgrund der Corona-Pandemie und der mit ihr verbundenen Planungsunsicherheit konnte die Jubiläumsfeier zum 50-jährigen Geburtstag des Hanse-Kollegs erst mit rund einem Jahr Verspätung am letzten Freitag stattfinden.
1972 wurde die Schule unter dem Namen Abendgymnasium Lippstadt gegründet. Zunächst wurden nur die Fachhochschulreife und das Abitur als Bildungsabschlüsse angeboten. Der Unterricht fand in diesen Zeiten auch nur am Abend statt. Ein eigenes Schulgebäude gab es nicht, weshalb auf Räumlichkeiten im Ostendorf-Gymnasium zurückgegriffen wurde. 1974 folgte die Vereinigung von Abendgymnasium und Abendrealschule zum Abendschulzentrum Lippstadt, dem ersten seiner Art in NRW.
Die Anfangsjahre waren nicht immer leicht, denn häufig war die Schule aufgrund der administrativen Rahmenbedingungen und der schwankenden Studierendenzahlen in ihrer Existenz bedroht. Die Schulen des Zweiten Bildungswegs führten häufig ein Schattendasein. Erst sukzessive, durch die Angleichung an den Ersten Bildungsweg, verbesserte sich die Lage. In den Jahren 1979 bis 1985 konnten sogar neue Zweigstellen eröffnet werden. Jene in Soest, Hamm und Beckum haben die Zeiten überlebt, die Außenstellen in Arnsberg, Attendorn, Paderborn und Brilon existieren schon lange nicht mehr oder sind eigenständig geworden.
Um sich den schwierigen Marktbedingungen anzupassen, wurde das Bildungsangebot stets erweitert: 1988 wurde der Vormittagsunterricht unter dem etwas sperrigen Namen „Abendgymnasium am Vormittag“ eingeführt. Bald darauf erfolgte die Umbenennung und das Hanse-Kolleg erhielt seinen heutigen Namen. Studierende des neuen Vollzeitbildungsgang Kolleg konnten nun von Anfang elternunabhängige BAföG-Leistungen beziehen. Unter dem langjährigen Schulleiter Heinz-Friedrich Lange (1994-2019) wurden im Jahre 2000 die Abendrealschulkurse auch am Vormittag angeboten. Ab 2013 konnten die Studierenden den Bildungsgang Abitur online besuchen, in dem der Unterricht nur an zwei bis drei Abenden in der Schule stattfindet und an den übrigen Tagen im Selbststudium erfolgt.
Mit der Migrationskrise 2015 öffneten sich für das Hanse-Kolleg neue Aktionsfelder. In den sogenannten Vorkursen ermöglicht man seitdem Zugewanderten den Erwerb von Deutsch-Zertifikaten der Niveaustufen A1 bis B2. Heute bilden diese Kurse ein massives Standbein, denn wie schon so oft schwanken und sinken die Studierendenzahlen seit einigen Jahren wieder massiv. Das Hanse-Kolleg, das auch offizielles telc-Prüfungszentrum ist, genießt im gesamten Kreis Soest und darüber hinaus einen guten Ruf, wenn es um die Vermittlung von Deutschkenntnissen und die Betreuung von Migranten geht. Seit einigen Jahren kooperiert das Hanse-Kolleg auch mit der Akademie für Pflegeberufe und Management in Lippstadt.
Anders als früher, als überwiegend „Spätberufene“ die Schule besuchten – Personen, die aufgrund ihrer Herkunft aus dem ländlichen Raum oder aus dem Arbeitermilieu erst später die Chancen erkannten, die sich mit einem höheren Bildungsabschluss verbanden – hat sich die Studierendenschaft in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich verändert. Heute überwiegen jene Personengruppen, die aufgrund diverser Problemlagen ihre Chance nutzen. Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit chronischen Erkrankungen und alle, die durch persönliche Schicksalserfahrungen in ihrem Fortkommen behindert wurden, finden am Hanse-Kolleg einen Lernort, der ihren individuellen Bedürfnissen sehr entgegenkommt. Insbesondere ein oft familiäres, weitgehend hierarchiefreies Verhältnis von Lehrenden und Lernenden schafft ideale Rahmenbedingungen, gerade für die Abgehängten, Ausgebremsten und für junge Menschen, die manchmal alle Hoffnungen verloren haben.
In seiner Jubiläumsrede wies Kollegdirektor Marcel Legrum deshalb nachdrücklich darauf hin, dass man an eine Schule des Zweiten Bildungsweges nicht dieselben bildungsökonomischen Maßstäbe anlegen könne wie beim Ersten Bildungsweg. Klassenstärken von 30 Studierenden und mehr sind an einem Kolleg eher sehr selten. Dafür bieten die Lehrerinnen und Lehrer ihren Studierenden aber auch mehr von dem, was sie besonders nötig haben: Sie hören zu, wenn Studierende sie mit ihren Problemen konfrontieren, und helfen dabei, Lösungen zu finden. Flexibilität, Offenheit und besonders Humanität sind unverzichtbare Grundvoraussetzungen für Unterrichtende am Hanse-Kolleg. Wenn junge Menschen, die desillusioniert an die Schule kamen, dann nach einigen Jahren den Abschluss in den Händen halten und mit neuen Perspektiven die Schule verlassen, lässt sich das in Zahlen nicht ausdrücken.
Das Hanse-Kolleg ist eine besondere Schule, und zwar in ganz unterschiedlicher Art und Weise. Kristina Kahm, Lehrerin des Hanse-Kollegs, wies in ihrer Feierrede auf die Besonderheiten hin: „Der älteste Studierende in einem meiner Kurse war 72, der älteste Studierende, der bei mir Abitur gemacht hat, war 54. Ich habe Kurse, in denen 17-Jährige neben 36-Jährigen sitzen, Kurse mit Menschen aus vielen Ländern der Welt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber es funktioniert. Und gerade weil die Charaktere so verschieden sind, ist das Lernen bei uns so viel mehr als nur Inhalt und Methode. Es ist ein gegenseitiges Aufeinandereinlassen, ein Kennenlernen, ein Abbauen von Vorurteilen.“
Aleksander Zarwanski, Redner der Studierenden, machte augenzwinkernd auf eine weitere Besonderheit des Zweiten Bildungswegs aufmerksam: „Am Gymnasium verstecken sich die Schüler mit ihren Zigaretten in den Büschen, am Hanse-Kolleg wird man in den Pausen vor dem Eingang von einer Rauchwolke begrüßt.“
Für Überraschung sorgte die musikalische Begleitung der Feierlichkeit. In den Projekttagen, die dem Jubiläumsschulfest vorausgingen, hatte sich eine Gruppe aus musizierenden Studierenden zusammengetan und Großartiges hervorgebracht. Melissa Echterhoff, Jaromir Eck, Tugba Kellermann, Alessandro Mendonca Ritacco, Thurkga Mohanamoorthy und Janus Süssmann überzeugten mit tollen Stimmen und einem perfekten Zusammenspiel. Man ist gespannt, wie sich diese Band, die noch gar keinen Namen hat, weiterentwickeln wird.
Im Anschluss an die Feierstunde gab es reichlich Speisen und Getränke und die Zeit konnte unter anderem für einen Rundgang durch die Klassen genutzt werden, um die Ergebnisse und Produkte der Projektwoche zu bestaunen.