Michaela Mann hat es geschafft. Die 37-jährige arbeitet als Assistenzärztin am Krankenhaus in Freudenstadt im Schwarzwald. Als sie im Jahre 2003, mit 20 Jahren, ans Hanse-Kolleg kam, um zunächst mal ihren Hauptschulabschluss nachzuholen, war davon noch nichts zu ahnen. Das Leben hatte Frau Mann nicht gerade die besten Voraussetzungen mitgegeben. Die Eltern getrennt, Mutter Hartz IV, der Vater Maler und Lackierer, Probleme mit dem Jugendamt, in der Schule zweimal sitzengeblieben; später die Sorge für den eigenen Lebensunterhalt, um nicht von Sozialhilfe abhängig zu sein – aus diesen Startbedingungen sind normaler Weise keine Erfolgsgeschichten gestrickt.
Schon damals hat sich Michaela Mann nicht die Zuversicht rauben lassen und kämpfte. Der Wunsch, an der Berufsschule ihre Abschlüsse zu nachzuholen, ließ sich zunächst nicht verwirklichen. Dann kam der schwere Unfall, zwei Wochen ohne Bewusstsein und intubiert auf der Intensivstation. Beim Aufwachen war der jungen Frau plötzlich klar: Es musste etwas in ihrem Leben passieren. Krankenschwester – das kristallisierte sich heraus – wollte sie werden, aber dafür fehlte der Schulabschluss.
Was in den folgenden Jahren geschah, gleicht einem Wunder. Frau Mann schrieb sich am Hanse-Kolleg ein, schloss zwei Jahre später als Beste die Realschule ab. Eigentlich sollte die schulische Karriere dann beendet sein. Trotz sehr guter Noten – die gebürtige Erwitterin wagte damals nicht daran zu denken, das Abitur anzustreben, auch weil sie endlich einmal Geld verdienen und nicht noch weitere drei Jahre an der Schule verbringen wollte. Aber ihre Lehrerin, Frau Bödeker, ließ damals nicht locker, lockte damit, dass man die Kollegzeit auch auf zwei Jahre verkürzen könne.
Das Abitur legte Frau Mann dann erfolgreich im Jahr 2008 ab. Danach führte sie der Weg nach München, wo sie eine Ausbildung zur Krankenschwester begann und in ihrem Beruf arbeitete. 2012 nahm sie dann eine weitere Hürde: Sie schrieb sich an der Universität Tübingen für ein Medizinstudium ein. Nebenbei jobbte sie weiter als Krankenschwester auf der Intensivstation, um sich ihr Studium zu finanzieren. Das Studium stellte sie vor weitere Herausforderungen, wie z.B. Latein oder Physik, Fächer, die sie vorher in ihrer Schullaufbahn nie hatte. Auch wenn sie nicht alle Klausuren beim ersten Mal bestand, ließ sie nicht locker und legte 2020 ihr Staatsexamen erfolgreich ab.
Seit diesem Jahr arbeitet Michaela Mann als Assistenzärztin der Frauenheilkunde in Freudenstadt. Abermals wird ihr das Leben nicht leicht gemacht, denn man könnte sich idealere Ausgangsbedingungen für den Berufseinstieg wünschen als die Corona-Pandemie.
Aktuell ist Frau Mann neben der Arbeit als Ärztin mit ihrer Promotion beschäftigt. Sie forscht in der Urologie im Bereich Stammzellen. Die langwierige Arbeit an einem Thema, das in der heutigen Medizin einen zentralen Stellenwert hat, wird sich sicher irgendwann auszahlen. Es darf vermutet werden, dass die Karriere der „Powerfrau“ (bei Frau Mann ist das Wort sicherlich angemessen) noch lange nicht zuende ist.
Was können heutige Studierende des Hanse-Kollegs von Frau Mann lernen? Sicherlich zuerst einmal, dass, wer Erfolg haben will, seine Sache durchziehen muss. Man darf sich von den Widrigkeiten des Lebens nicht aus der Bahn werfen lassen, auch wenn es manchmal schwer fällt. Zudem ist es offensichtlich von Vorteil, berufliche Ziele schrittweise anzugehen, um sich daran nicht zu überheben. In diesem Sinne ist die Ausbildung vor dem Studium ein guter Weg, der sich später auszahlt. Frau Mann profitiert davon, dass sie die Arbeitsabläufe in der Pflege kennt. Es verschafft ihr einen besseren Überblick und größeres Ansehen im Team in ihrem Beruf als Ärztin.
Florian Teubert